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Das halbvolle und das halbleere Glas

Bundestag, Wahlkreis

Überlegungen zum Sondierungspapier und den kommenden Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen, Olaf-Scholz-SPD und FDP

FDP geht gar nicht und mit 5,4 % der Stimmen in meinem Wahlkreis und der Zustimmung von 37,9 % für meine Positionen wäre das Thema schnell erledigt, jedenfalls in Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost. Aber wenn es um die Regierungsbildung im Bund geht, stellt sich die Frage: „Sollen wir es lieber bleiben lassen?“ Sobald ich diese Frage so stelle, kommt ein „Nein, so ist es auch nicht gemeint!“ Doch zuvor wird minutenlang über die FDP gelästert und alles aufgezählt, was in dem gemeinsamen Sondierungspapier von Grünen, SPD und FDP fehlt. Solche Gespräche hatte ich im Verlauf des Wochenendes viele.
Auch ich war am Freitag – als das Ergebnis der Sondierungen veröffentlicht wurde – hin und her gerissen. Positiv überrascht, was alles – insbesondere bei den Bürgerrechten – mit drin ist, und enttäuscht, was alles fehlt, bei allen sozialen Fragen, vor allem beim Mietrecht. Aber der Gedanke, demnächst an einer Regierung dieses Land mitgestalten zu können, löst bei mir mehr Verantwortung aus als Resignation. Jetzt kann sich einiges ändern, wenn man sich mit viel Mut ins politische Handgemenge stürzt. Wohl wissend, dass wir als Bündnis 90/die Grünen bundesweit betrachtet nur knapp 15 Prozent der Zweit-Stimmen bekommen haben und keine 37,9 Prozent. Und mit der FDP sowie mit der Olaf-Scholz-SPD keine einfachen Partner*innen haben.
Gefreut hat mich, dass der Kohleausstieg 2030 als Ziel drin ist, dass ein Mindestlohn von 12 Euro und die Kindergrundsicherung kommen, dass die Bedingungen von „Hartz IV“ teilweise in Frage gestellt werden und es zum „Bürgergeld“ wird, die Entkriminalisierung von Cannabis, das Wahlrecht ab 16, das Bekenntnis zu Vielfalt und Antidiskriminierung, die vielen angedachten Änderungen in der Gesetzgebung dazu sowie die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen als Leitbild.
Doch zum drängendsten Problem in meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost, den Mieten, fehlt fast alles. Zwar soll endlich gegen die Finanzierung von Immobilien durch Schwarzgeld vorgegangen und – wie von mir seit langen gefordert – ein Verbot des Erwerbs von Immobilien mit Bargeld kommen. Mit den sogenannten „Share Deals“ soll es vorbei sein. Auch die urgrüne Forderung nach einer „Neuen Gemeinnützigkeit“ wird sicher vielen Haus-Projekten helfen und hoffentlich verstärkten Wohnungsbau für einkommensschwache Mieter*innen ermöglichen. Aber am zentralen Punkt, dem Mietrecht, finde ich weder einen bundesweiten Mietendeckel, noch zumindest die Andeutung einer regionalen Öffnungsklausel, kein Wort zu einem Gewerbemietengesetz, zu verstärktem Schutz vor Eigenbedarfskündigungen oder gar zu einer anderen Bodenpolitik.

 

Natürlich kann man im Vorspann des Textes lesen, dass in dem Papier nur die Themen aufgeführt sind, in dem „eine Vorfestlegung erreicht“ werden sollte. „Nicht alle Themen wurden besprochen, nicht jedes Thema bis in die Einzelheiten diskutiert. Dazu bieten die folgenden Verhandlungen Gelegenheiten.“ Ist also noch alles offen? Das würde ich alles gerne glauben, doch ich kenne auch die Dynamiken von solchen Verhandlungen.
Ich selbst werde mich konstruktiv-kritisch an den Diskussionen beteiligen, werde Druck machen, dass viele der Versprechungen auch konkret umgesetzt werden und wirklich materielle Veränderungen für die Menschen erreicht werden. Es zu einem sozial-ökologischem Umbau der Gesellschaft im Sinne und zum Nutzen der Bevölkerung kommt, und nicht nur zu einer Modernisierung des Kapitalismus. Dafür habe ich bisher gekämpft und werde ich weiterhin kämpfen. Doch dazu bedarf es auch des Drucks der Zivilgesellschaft und der sozialen Bewegungen. Also frohen Mutes hinein ins politische Handgemenge zur Neugestaltung dieser Republik. Der Raum dazu ist gerade offen.