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Persönliche Erklärung von Canan Bayram zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum „Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“

Bundestag, Bürger*innenrechte

Erklärung der Abgeordneten Canan Bayram (Bündnis 90 / Die Grünen) nach § 31 GO-BT am 14.5.2020 zu Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite – Drucksache 19/18967 – und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 19/19216

Ich stimme mit ‚NEIN‘ gegen diesen Gesetzentwurf sowie gegen die befürwortende Beschlussempfehlung der Ausschussmehrheit.

1) Denn dieser Gesetzentwurf verstetigt und verschärft eine Rechtsproblematik im Infektionsschutzgesetz, die sich schon durch dessen grundlegende Neufassung im Gesetz vom 27.03.2020 (BGBl. I S. 587) ergab. Bereits gegen jene Neufassung habe ich zuvor am 25.3.2020 hier im Plenum meine intensiven Bedenken in einer persönlichen Erklärung geäußert (Plenarprotokoll Seite 19192 D, Ziffer 1:  http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19154.pdf#BM22).

Diese Bedenken richteten sich vor allem dagegen, dass die Neuregelung in § 5 Absatz 2 und 3 IfSG den Bundesgesundheitsminister bei einer epidemischen Lage von nationaler  Tragweite zu weitreichenden Rechtsverordnungen und „Anordnungen“ ermächtigt. Dies habe ich schon damals „Blankett-Ermächtigung“ genannt. Denn entgegen Artikel 80 des Grundgesetzes waren und sind Inhalt, Zweck und Ausmaß dieser Ermächtigungen höchst unbestimmt.

Andere Kritiker haben dies später geschichtsbewusst „Hindenburg-Klausel“ genannt oder  „Selbstentmächtigung“ des Parlaments. Die genannten Anordnungen – also „direkte  Ministerialverwaltung“  durch  Verwaltungsakte – wären nur ausnahmsweise gemäß Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG zulässig, dessen Voraussetzungen aber hier nicht vorliegen.

Zudem führt die nicht nachvollziehbare Unterscheidung, warum der Bundesgesundheitsminister teils durch Einzelanordnungen soll handeln dürfen, in anderen Fällen aber durch Rechtsverordnung, zu nicht einsichtigen Folgefragen, etwa zu dann verschiedenem Rechtsschutz.

Angesichts all dessen bestehen meine Bedenken gegen diese zentralen, meines Erachtens heute schon verfassungswidrigen Regelungen fort und sind seither noch gewachsen; daher kann ich auf meine damaligen Begründungen verweisen.

2) Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen eines Zweiten Bevölkerungsschutzgesetz spitzt die Probleme zu, insofern in Artikel 1 Nr. 3 (zu § 5 Abs. 2 IfSG) jene Anordnungs- und Verordnungsermächtigungen nochmals erweitert werden. Zum Beispiel soll § 5 Abs. 2 Nr. 10 IfSG den Bundesgesundheitsminister nun dazu ermächtigen, etwa das Ausbildungs- und Prüfungsrecht für Gesundheitsfachberufe zu erlassen. Dies und auch die anderen Rechtsverordnungsermächtigungen sind teils gravierende Grundrechtseingriffe.

Weiterhin unbeantwortet bleibt auch in dieser Novelle, in welchem Verhältnis die Anordnungsbefugnisse des Bundesgesundheitsministers zu den fortbestehenden Ausführungs-Ermächtigungen der Ländereigenverwaltung eigentlich stehen.

Außerdem fehlt weiterhin die von unserer Fraktion schon im März geforderte Mindest-Regelung, um das verursachte Demokratiedefizit wenigstens zu mildern, dass jedenfalls Bundestag und Bundesrat die Aufhebung solcher Rechtsverordnung sollen durchsetzen können. Leider hat die Mehrheit der Koalitionsfraktionen in den Ausschüssen sogar dies abgelehnt.

3) Soweit § 5 Absatz 2 Nr. 9 IfSG künftig dem Bund erlauben soll, Gesundheitsämter der Länder und Kommunen finanziell zu unterstützen (laut Entwurfs-Begründung 100.000 bis 150.000 Euro für jedes der 375 Gesundheitsämter), ist dieses Ziel zwar grundsätzlich ehrenwert, doch die Ausführung kollidiert scharf mit der Finanzverfassung des Art. 104a GG. Solche kleinen Geschenke an die Länder lenken auch nur ab von deren Unterfinanzierung als eigentlichem Problem. Dagegen hilft nur eine gerechtere Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Länder und Kommunen gemäß Art. 106 GG.

4) In Artikeln 1, 2 und 15 des Gesetzentwurfs werden zahlreiche systematische und dauerhafte Änderungen des IfSG vorgenommen, deren aktuelle Notwendigkeit nicht ersichtlich ist. Doch das im Lichte der aktuellen Pandemie zu tun ist m.E. verfrüht. Denn als Grundlage dafür sieht das Gesetz ohnehin einen bilanzierenden Bericht zum 31.3.2021 vor. Der sollte also abgewartet werden.

5) Leider enthält der Novellierungsentwurf nicht die nötigen Überarbeitungen der Gefahrenabwehrregelungen gemäß §§ 15 a – 32 IfSG: etwa ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Personen, die nicht bestätigt ansteckend sind, trotzdem kontrolliert, in Quarantäne geschickt oder anderen Maßnahmen ausgesetzt werden dürfen.

FAZIT: Ich kann diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, vor allem weil dieser die eingangs genannte Verletzung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes fortsetzt und erweitert.