Persönliche Erklärung von Canan Bayram zu ihrem „Nein“ zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan
Bundestag, FriedenspolitikHeute stimme ich gegen den Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Seit mehr als 20 Jahren wird in Afghanistan Krieg geführt, ohne dass sich eine Verbesserung für die Lebensverhältnisse der Zivilbevölkerung, insbesondere der Frauen, abgezeichnet hat. Statt daraus endlich Konsequenzen zu ziehen, wird auf eine Verlängerung des Krieges gesetzt. Dieser Logik der stetigen Weiterführung der militärischen Intervention ohne nachvollziehbares Ziel und Bemühungen um Friedensverhandlungen widerspreche ich entschieden.
Der Einsatz in Afghanistan ist klar gescheitert und die Bundesregierung hält stur an dem Einsatz fest, um das Scheitern nicht eingestehen zu müssen. Derzeit findet keine Ausbildung der afghanischen Sicherheits- und Verteidigungsorgane statt, da es die Sicherheitslage nicht erlaubt. Die UNO verzeichnet eine dramatische Verschlechterung der Lage mit mehr als 10.000 sicherheitsrelevanten Vorkommnissen und rund 400 Attentaten, die allein den Taliban zuzurechnen sind. Diese Anschläge werden sich sogar noch verstärken, wenn westliche Truppen vor Ort bleiben. Das ursprüngliche Ziel der Bekämpfung der Taliban ist gescheitert. Vielmehr werden derzeit große Teile des Landes durch die Taliban kontrolliert.
Ebenfalls wie mein Vorgänger Hans-Christian Ströbele im Wahlkreis Berlin Friedrichshain-Kreuzberg Prenzlauer Berg Ost war ich vor Ort, um einen eigenen Eindruck zu erhalten. Die Sicherheitslage ist verheerend. In vielen Gesprächen wurde klar, dass die Bedrohungslage durch die Taliban eher steigt und Angriffe auch auf westliche Truppen zunehmen. Somit ist klar, dass dort weder Ausbildungsmissionen noch andere militärische Maßnahmen durchführbar sind. Die meisten deutschen Soldaten haben die Camps nicht verlassen. Nach dem Abzug der Bundeswehr sollten wir die Anstrengungen für die Suche friedlichen Lösung des Konflikts verstärken. Für die Soldat*innen stellt der Einsatz eine Bedrohung für die körperliche Unversehrtheit und auch das Leben dar. In jedem Fall steht die Gefährlichkeit des Einsatzes in keinem Verhältnis zu vermeintlichen Zielen, die schon seit Jahren nicht erreicht werden konnten und auch nicht mehr erreicht werden können. Daher kann ich einen solchen Einsatz nur ablehnen.
Statt immer weiter unendlich lange sinnlos Krieg zu führen, sollte es darum gehen, alles für den noch halbwegs haltenden Waffenstillstand und eine Friedensperspektive zu tun. Dazu gehört auch, dass die Bundesregierung direkte deeskalierende Gespräche mit allen Konfliktparteien vor Ort unternimmt, so wie sie in der Vergangenheit in Einzelfällen von der Bundeswehr schon erfolgreich geführt wurden. Auch die USA diskutieren derzeit Szenarien für eben diese Verhandlungen, denn sonst würde es an Partnern in der Region fehlen, die überhaupt die Möglichkeiten und Macht haben, die erzielten Ergebnisse der Verhandlungen umzusetzen. Ein Angebot Deutschlands für solche Verhandlungen könnte sein, nach Friedensschluss Entwicklungshilfe zu leisten. Diese Hilfen müssten ganz klar an die Achtung von Menschenrechte und insbesondere die Rechte und den Schutz von Frauen in Afghanistan geknüpft werden. Dadurch kann eher eine Verbesserung der Situation für die Zivilbevölkerung erzielt werden, als durch den Einsatz der Bundeswehr.
Ich sage „Nein“ zur Fortführung des Einsatzes, da es zwingend geboten ist, die Logik zu durchbrechen, dass nur mehr Militär und längere Einsätze irgendwann das Problem lösen werden. Gerade in Afghanistan sieht man nach mehr als 20 Jahre Kriegseinsatz, dass dies nicht der Fall ist. Nur wenn dieser Automatismus der Einsatzlogik durchbrochen wird, können wir Perspektiven für die Zivilbevölkerung und vor allem auch für die Frauen in Afghanistan entwickeln und umsetzen.
Deshalb muss dieser Bundeswehreinsatz beendet werden und der Abzug der Soldaten aus Afghanistan erfolgen.