Persönliche Erklärung von Canan Bayram zum Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite
Bundestag, Bürger*innenrechteErklärung der Abgeordneten Canan Bayram (Bündnis 90 / Die Grünen) nach § 31 GO im Bundestags-Plenum am 18.11.2020 zu TOP 1-3: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: „Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (BT-Drs. 19/23944)
Dem Koalitionsentwurf eines 3. Bevölkerungsschutzgesetzes kann ich nicht zustimmen.
Meine Entscheidung beruht auf den folgenden Gründen:
1. Ich erkenne an, dass derzeit eine pandemische Lage gegeben ist und beklage die exponentiell gestiegenen Infektionszahlen, Belegung von Krankenhausbetten, Intensiv- und Beatmungsbetten, Überlastung und Engpässe beim medizinischen Personal sowie die dadurch manifeste Bedrohung von Leben und Gesundheit aller Bürger*innen.
2. Der Regelungsversuch ist in seiner jetzigen Form nicht zustimmungsfähig. Daher lehne ich das Gesetz ab.
Der Gesetzentwurf ermöglicht es Abgeordneten des Bundestages nicht, fundiert das Vorliegen einer epidemischen Lage nationaler Tragweite zu beurteilen bzw. festzustellen. Ebenso ist es den Bürger*innen nicht möglich, die von der Regierung getroffenen Entscheidungen nachzuvollziehen.
Ich habe außerdem noch nicht die Überzeugung gewonnen, dass dieses Regelwerk sowie darauf gestützte Verordnungen und Einzelmaßnahmen einer gerichtlicher Überprüfung standhalten werden.
Im Einzelnen:
a. Die im Gesetzentwurf zum Infektionsschutzgesetz nun formulierten Voraussetzungen, unter denen der Bundestag das Vorliegen einer epidemischen Lage nationaler Tragweite feststellen kann, halte ich für verbesserungsbedürftig.
Immerhin kann der Bundestag jederzeit die Feststellung dieser Lage aufheben und muss dies auch tun, wenn die Voraussetzungen dafür entfallen; dies hat zur Folge, dass dann auch die zuvor erlassenen Rechtsverordnungen und getroffenen Anordnungen grundsätzlich außer Kraft gesetzt werden.
b. Für wünschenswert hielte ich weiterhin, dass die Bundesregierung den Bundestag während einer nationalen epidemischen Notlage über deren Entwicklung nicht nur mündlich laufend unterrichtet, sondern das schriftlich erfolgen sollte, sodass es auch von der Bevölkerung verstanden werden kann.
Eine gesteigerte Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung erhöht auch die Akzeptanz der Maßnahmen.
c. Ferner hielte ich aus gleichem Grund eine Vorgabe im Infektionsschutzgesetz für nötig, dass daraufhin erlassenen Rechtsverordnungen von Bund und Ländern je einer schriftlichen Begründung bedürfen. Dabei sollte die Begründung der Verhältnismäßigkeit im Vordergrund stehen. Denn eine sachgerechte gerichtliche Überprüfung der Verordnungen ist nur bei ausreichender Begründungstiefe möglich. Für nicht ausgeschlossen hielte ich, dass andernfalls Gerichte auch sachlich gerechtfertigte und verhältnismäßige Maßnahmen aufheben.
d. Ich halte außerdem daran fest, dass auch die Befugnisse der Länderparlamente, an auf §§ 5, 28, 28a IfSG gestützten Rechtsverordnungen mitzuwirken, darüber informiert zu werden und jederzeit deren Rücknahme durchsetzen zu können, erhalten bleiben müssen. Das aber haben die Länder zu regeln.
Diese Forderungen habe ich ja schon erhoben in meiner persönlichen Erklärung zur Abstimmung der ersten Pandemiemaßnahmen am 25.3.2020 in diesem Hause (Anlage 7 des Protokolls: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19154.pdf#BM17) sowie zum Zweiten Bevölkerungsschutzgesetz am 14.5.2020 (https://bayram-gruene.de/persoenliche-erklaerung-von-canan-bayram-gesetz-zum-schutz-der-bevoelkerung-bei-einer-epidemischen-lage/).
3. Zu begrüßen ist, dass der Gesetzentwurf (§ 28a Abs. 5) jetzt vorgibt, dass Rechtsverordnungen, die nach dem Infektionsschutzgesetz erlassen werden können, grundsätzlich nur vier Wochen gelten dürfen. Ich unterstütze den Rechtsanspruch auf Impfung und Testung. Auch die weiteren Ziele des Gesetzentwurfs, die Krankenhäuser für Corona-Behandlungen zu stärken u.a. mit Ausgleichszahlungen, sind gewiss im Ansatz richtig. Kurzfristig sinnvoll erscheinen mir auch etwa die vorgesehene digitale Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie der Ausbau der Testkapazitäten.
4. Abschließen möchte ich diese Erklärung mit einem besonderen Dank an alle gegen Corona tätigen medizinischen, pflegerischen und sonstigen Einsatzkräfte. Ohne diese wäre nämlich jeder Vollzug irgendeines Gesetzes, das wir hier gegen die Pandemie beschließen könnten, unmöglich.
5. Fazit: Ich kann diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil er gemessen an den erheblichen zu erwartenden Grundrechtseingriffen nicht den Anforderungen an eine solche Rechtsgrundlage genügt.