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Persönliche Erklärung zum Gesetzentwurf „Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ – Corona

Bundestag, Bürger*innenrechte, Mieten

Erklärungen der Abgeordneten Canan Bayram (Bündnis 90 / Die Grünen ) nach § 31 GO zum Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht und zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite der Fraktionen der CDU/CSU und SPD

In Anbetracht der großen Herausforderung vor die uns die Covid-19-Pandemie stellt, ist es wichtig, dass wir als Bundestag die drängendsten Entscheidungen schnell treffen, damit den Menschen in der Not tatsächlich direkt und unverzüglich geholfen werden kann. Insoweit folgt daraus eine Verantwortung in der Opposition, die mich veranlasst einem Gesetz zuzustimmen, dem ich die richtige Zielrichtung nicht absprechen will, aber das mich nicht vollständig überzeugt. Daher fühle ich mich verpflichtet, beispielhaft auf einige besonders problematische Inhalte dieser Vorlagen hinzuweisen, wegen derer ich „in normalen Zeiten“ sicher mit „Nein“ dagegen gestimmt hätte. Insoweit will ich mit meiner Erklärung deutlich machen, dass ich nicht mit allem einverstanden bin, daher weise ich auf folgende Probleme der heute eingebrachten Gesetze hin:

1) Besonders heikel erscheint mir der „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.

a) Gut, wenn darin nunmehr weder der Gesundheitsminister oder die Bundesregierung das Bestehen einer epidemischen Lage feststellen dürfen, sondern allein der Deutsche Bundestag selbst dies tun darf. Das passt dann immerhin formell eher zum hergebrachten System solcher „Notstandsgesetze“ etwa zu entsprechenden Regelungen in Art. 80a GG.

b) Inhaltlich bedenklich in diesem Gesetzentwurf finde ich vor allem dessen Artikel 1 mit gravierenden Änderungen zum Infektionsschutzgesetz. Insbesondere in dessen § 5 Abs. 3 soll nun das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung – je ohne Zustimmung des Bundesrates – sehr weitreichende Maßnahmen verfügen zu dürfen.

c) Entgegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG sind weder „Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze“ hinreichend präzise bestimmt. Vielmehr sind die Voraussetzungen, Ziele und Inhalte der Ermächtigungen teils nur derart luftig umschrieben, dass man von Blankett-Ermächtigungen sprechen muss.

d) Etwa die umfassende Ermächtigung in § 5 Abs. 3 Ziffer 3, der Gesundheitsminister dürfe von allen Vorgaben des Gesetzes und bestehender Verordnungen abweichen für Infektionsschutz und Versorgung der Bevölkerung, geht bedenklich in Richtung einer Generalklausel „Von den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland kann durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit abgewichen werden.“

e) Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung gestern noch selbst zur Einsicht gelangte und aus ihrem Entwurf – in der uns heute vorgelegten Fassung Drucksache 19/18111 – die vorgesehene Verordnungsermächtigung in § 5 Abs. 3 Nr. 8 d) gestrichen hat, dort eine Arbeitsdienstpflicht für Pflegekräfte einzuführen und deren bisherige Arbeitsgeber zur Abstellung des Personals zu „verpflichten“. Dieser Regelung statt die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn, nämlich die Verletzung der Grundgesetz-Artikel 2 und 12.

Erstaunlich überhaupt, dass das Gesundheitsministerium anfangs die Chance gekommen sah, seine früheren Vorhaben eines solchen „Gesundheitssicherstellungsgesetzes“ bzw. „Gesundheitsschutzgesetzes“ schon aus den Endsiebziger /Achtziger Jahren nun  umsetzen zu können.

f) Schließlich halte ich das Bundesgesundheitsministerium nicht für geeignet, wie vorgesehen weitreichende Verwaltungsaufgaben nach diesem Gesetz selbst zu erfüllen statt durch die Länder und Kommunen erfüllen zu lassen. Insoweit wird durch die Verordnung der unzutreffende Eindruck erweckt, dass das Bundesgesundheitsministerium über die Ressourcen zur Erfüllung der Aufgaben, die ihm durch Verordnung übertragen werden, verfügt.

2) Bedenken habe ich auch gegen den Gesetzentwurf zur rechtlichen Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie:

a) Zum Schutz der Wohnraum- und Gewerbemieter*innen halte ich es für notwendig, Kündigungen nicht nur wie vorgesehen für 3 Monate bis 30.6.2020 auszuschließen, sondern angesichts der schon absehbar längeren Auswirkungen der Corona-Pandämie mindestens bis Ende 2020. Das Gesetz verbietet zwar befristet eine Vermieterkündigung wegen Zahlungsverzug, nicht jedoch einen Rückgriff auf eine etwaige Mietsicherheit (Kaution) wegen Zahlungsverzug. Es wäre kontraproduktiv, wenn man in dieser Ausnahmesituation kleine Gewerbetreibende und Solounternehmer wegen der Schließung ihrer Betriebe und vorübergehender Nichtzahlung des Mietzinses vor einer Kündigung schützt, nicht jedoch vor einem Rückgriff auf die hinterlegte Mietsicherheit und vor Pfändung des Inventars: insoweit müsste hierzu eine Ergänzung des Gesetzes vorgenommen werden mit dem Ziel, auch die Kaution und das Sicherheit-gebende Inventar vor dem Zugriff der Vermieter zu schützen.

b) Außerdem sollen nicht die Mieter*innen wie vorgesehen im Einzelfall beweisen müssen, dass ihre Mietzahlungsschwierigkeiten durch Verdienstausfall aufgrund der Corona-Lage verursacht sind. Sondern dieser Zusammenhang soll gesetzlich vermutet werden, so wie der Gesetzentwurf dies schon vorsieht etwa in § 3 für säumige Darlehens-Schuldner.

c) Da sich durch die Krise wohl für viele Menschen ausgefallene Mietzahlungen von mehreren Monaten ansammeln werden, werden auch danach v.a. Geringverdiener*innen diese Mietrückstände nicht nachzahlen können. Daher halte ich es für nötig, einen Sonderfonds zu schaffen, der von der Krise Betroffenen unbürokratisch Mietzuschüsse gewährt. Ein solcher Fonds könnte auch kleinen Vermieter*innen und Genossenschaften zinslose Überbrückungskredite gewähren, die andernfalls wegen Mietausfällen bei ihnen anfallende Kosten bzw. Kredite nicht bedienen können.

d) Soweit der Gesetzentwurf außerdem Verbraucher*innen im Bürgerlichen Gesetzbuch während der Krise zeitweilige Leistungsverweigerungsrechte gewährt, wäre dabei unbedingt nötig, bei existenziell notwendigen Leistungen wie Energie, Wasser, Telekommunikation den Verbraucher*innen trotzdem den Anspruch auf die Gegenleistung des Versorgers zu belassen. Denn sonst nützt das Verweigerungsrecht nichts.

3) Ich kritisiere heftig, dass im Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz die Gehälter und Boni von Managern und Angestellten von Corona-bedingt geförderten Unternehmen nicht niedrig gedeckelt sind.

Hier drohen wiederum Missbräuche und Mitnahme-Effekte wie in der Bankenkrise, als geförderte Banken die Staatshilfen für Manager-Boni verwendeten. Die bloße Verordnungsermächtigung für Auflagen dagegen nutzte der Finanzminister schon damals nicht. Warum sollte das also heute anders sein? Etwas geholfen gegen diese Auswüchse hat damals erst, als in § 10 des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes nachträglich klare Bezüge-Deckelungen eingefügt wurden für „Organmitglieder und Angestellte.“

Solches ist auch jetzt dringend nötig! Die Bundesregierung unterließ es jetzt, solche Auflagen-Regelungen zu erstrecken auf Bezieher von Corona-Hilfen. Die bloße Verordnungsermächtigung in § 25 Abs. 3 Nr. 3, der Bundesfinanzminister „könne“ solche Auflagen schaffen, greift viel zu kurz. Zudem zielt dies falsch nur auf juristische Personen (statt auf alle subventionierten Unternehmen), ferner falsch auf „Organe (statt vielmehr auf die „Organmitglieder“ wie in § 10 Abs. 2a -c FMStFG) und spart hochbezahlte „Angestellte aus (anders als § 10 Abs. 2a -c FMStFG). Außerdem müssen – anders als dort – die Bezüge-Grenzen bei solch geförderten Unternehmen weit unterhalb der dortigen absurd hohen 500.000€  gedeckelt werden.

In der Gesamtschau stimme ich dem Gesetz gleichwohl zu, weil es wichtige Veränderungen vornimmt, um die wirtschaftliche Bewältigung der außergewöhnlichen wirtschaftlichen Belastung durch die COVID-19-Pandemie für die Menschen und an sich gesunde Unternehmen zu erleichtern, kurzfristige Kündigungen von Miet- und Pachtverträgen in dieser Ausnahmesituation zu verhindern verhindert und eine Anpassung von Darlehensverträgen ermöglicht. Im Gegenzug erwarte ich, dass alle durch die Corona-Pandemie heute beschlossenen Gesetze tatsächlich nur für das Ziel und die Dauer der Krise verhältnismäßige Anwendung finden.