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Populistische Narrative nicht mittragen

Antidiskriminierung, Bundestag, Bürger*innenrechte

Persönliche Erklärung zur Ablehnung des sogenannten "Sicherheitspakets"

Die als „Sicherheitspaket“ bezeichneten Gesetzentwürfe lehne ich ab.

Die Bekämpfung von Islamismus muss entschlossen und mit allen Mitteln des Rechtsstaats erfolgen. Die vorliegenden Gesetze bekämpfen nicht Islamismus, sondern Geflüchtete und stärken so populistische Narrative.

Statt zu mehr Sicherheit werden die darin enthaltenen Regelungen in absehbarer Zeit zu mehr Unsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland beitragen. Rechtsunsicherheit, weil bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unklar ist, inwieweit die Gesetze überhaupt Bestand haben. Unsicherheit für Menschen mit Migrationshintergrund, die unter Pauschalverdacht gestellt werden und durch die Reproduktion populistischer Narrative Repression und Diskriminierung fürchten müssen. Die Gesetze führen zu weniger Sicherheit: Schutzsuchende, denen Arbeit und einExistenzminimum verweigert wird, können in die Obdachlosigkeit, Kriminalität und gar Radikalisierung abrutschen.

Meine Entscheidung beruht auf den folgenden Gründen:

1. Die vorgesehenen Leistungskürzungen für Ausreisepflichtige sind evident verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig festgestellt, dass der Leistungsumfang des menschenwürdigen Existenzminimums nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf (BVerfG, Urteile vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvR 2/11). Die Betroffenen darauf zu verweisen, dass sie in einen anderen Staat ausreisen können, in dem unsere Verfassung und damit das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht gilt, ist perfide. Dort droht ihnen ohne jegliche Unterstützung und Möglichkeit, durch legale Arbeit den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, Obdachlosigkeit. Warum die dann in Deutschland drohende Obdachlosigkeit die Betroffenen dazu bewegen sollte, in den zuständigen Mitgliedstaat auszureisen, ist insoweit nicht erkennbar.

2. Die Betroffenen haben teils Gründe, warum sie den nach der Dublin-Regelung zuständigen Mitgliedstaat verlassen haben. Erst vor einigen Tagen entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Urt. v. 15.10.2024, Az. 13337/19), dass Deutschland durch eine Abschiebung nach Griechenland das Verbot der unmenschlichen Behandlung der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen habe (Art. 3 EMRK), weil dort die Haftbedingungen des Syrers gegen das Verbot der unmenschlichen Behandlung verstoßen hätten.

3. Die Betroffenen laufen Gefahr durch die fehlende Unterstützung in der Bundesrepublik Deutschland in Armut, Elend und auch Kriminalität abzurutschen. Dass dies zu weniger statt zu mehr Sicherheit auf deutschen Straßen führen wird, liegt auf der Hand.

4. Trotz der eindeutigen Kritik annähernd aller geladenen Sachverständigen in der Öffentlichen Anhörung sollenBundespolizei, BKA und BAMF neue Befugnisse zum biometrischen Abgleich bzw. zur Identifizierung anhand von allen im Internet öffentlich zugänglichen Daten und die automatisierte Datenanalyse erhalten. Wie diese technisch ausgestaltet sein soll, bleibt unklar. Klar ist, die Analyse durch Anbietende wie Palantir, Clearview, PimEyes und Co. verstoßen gegen EU-Recht und die deutsche Verfassung. Besorgniserregend ist dies insbesondere mit Blick auf das Erstarken von autoritärenKräften in Deutschland.

5. Die Ausweitung der Waffenverbotszonen ermächtigt die Länder, viele Bereiche des öffentlichen Lebens zu solchen Zonen zu erklären – mit der Folge, dass die Polizei dort ohne jeden Anfangsverdacht Menschen ansprechen, kontrollieren und durchsuchen darf. Solche Formen der anlasslosen Kontrolle setzen unbescholtene Menschen einem Generalverdacht aus und greifen tief in Grundrechte ein.

Aus der Erfahrung mit derartigen Zonen wissen wir, dass diese zu Racial Profiling führen, da das typisierende Vorgehen, welches sich auf vermeintliche „bestehende Lageerkenntnisse“ stützt, letztlich zu unzulässiger Diskriminierung führt, bei der Kontrollen aufgrund der Haut- und Haarfarbe eines Menschen durchgeführt werden.

Was wir bräuchten, sind rechtsstaatliche, evidenzbasierte und zielgerichtete Maßnahmen. Um solche auszuarbeiten bedarf es einer ausführlichen und breiten parlamentarischen sowie gesellschaftlichen Debatte.

Das bestehende Dublin-System, das einseitig Mitgliedstaaten aufgrund ihrer geographischen Position an den EU-Außengrenzen besonders in die Verantwortung nimmt, halte ich unter Gesichtspunkten der europäischen Solidarität nicht für hilfreich. Mit Blick auf die sich stets verschärfenden Krisen in der Welt, den kriegerischen Auseinandersetzungen, den sich durch den ungestoppten Klimawandel verschärfenden Ernährungskrisen und den daraus entstehenden Ressourcenkonflikten und den Menschen, die sich deswegen auf die Flucht begeben, brauchen wir statt kleinteiliger Symbolpolitik ein echtes gemeinsames Europäisches System, das Solidarität und die Wahrung der Menschenrechte in den Fokus stellt.

Als Abgeordnete und Rechtsanwältin bin ich den Menschenrechten und der Verfassung verpflichtet und nicht bereit, populistischen Narrative in Deutschland und Europa mitzutragen. In meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost bin ich für meine Partei Bündnis 90/Die Grünen angetreten für eine menschenrechtsgeleitete Politik, wie sie von unserem Grundsatz- und Wahlprogramm in Aussicht gestellt wurden. Daran messe ich meine Entscheidungen im Rahmen der Ausübung meines freien Mandats. Einem solchen „Unsicherheitspaket“ kann ich daher nicht zustimmen.