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Rede von Canan Bayram im Deutschen Bundestag zur Reform des Strafrechts

Bundestag, Strafrecht

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Feststellungspunkte des Antrags der FDP haben unsere volle Unterstützung, lieber Herr Kollege Martens. Völlig richtig ist: Es fehlen vor allem eine Bestandsaufnahme und eine Wirkanalyse hinsichtlich der Änderungen im Strafverfahren der letzten 15 Jahre. Die vergangenen Wahlperioden waren geprägt von einer ausufernden, überwiegend symbol- und klientelpolitisch motivierten Strafrechtsgesetzgebung. Zwar hatte sich die Koalition in ihrem Koalitionsvertrag endlich erstmals evidenzbasierte Kriminalpolitik als Ziel gesetzt, aber Strafrecht ist für die Koalition weiter ein Allheilmittel. Auf die tatsächliche Wirkung kommt es nicht an. Was vor allem zu interessieren scheint, ist die politische Verkaufbarkeit. Jüngste Beispiele dafür sind die Forderung nach der Strafbarkeit der Verunglimpfung der europäischen Hymne oder die Forderung, Alltagsäußerungen
von Jugendlichen auf dem Schulhof, etwa „Ich knall dir gleiche eine!“, als Bedrohung einzustufen. Das schießt weit über unser gemeinsames Ziel der Bekämpfung von Hass und Hetze hinaus. Strafverfolger und Gerichte werden sich bedanken.

Als Beispiel für unser Anliegen einer rationalen und effektiven Kriminal- und Sanktionspolitik, für die Beschränkung des Strafrechts auf das Wesentliche und die Entlastung der Justiz: Die grüne Fraktion hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, mit dem das Fahren ohne Fahrschein, das sogenannte Schwarzfahren, von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird.
Von der Koalition wurde das bislang noch nicht unterstützt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr Vorschlag, eine Expertengruppe zur Strafrechtsreform einzusetzen, ist allerdings kaum hilfreich, eher etwas hilflos. Beim Bundesjustizministerium liegen unaufgearbeitete Berichte von Reformkommissionen auf Halde, etwa zu den Tötungsdelikten, zur Strafprozessordnung oder zur Gesamtreform der Sexualdelikte. Da wäre eine weitere Expertengruppe eher eine Überforderung. Oder glauben Sie, dass wir zu dem Modernisierungsprojekt der audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung in dieser
Legislaturperiode noch etwas Beschlussfähiges bekommen? – Ja, genau, ich auch nicht. Was wir eher bräuchten, wäre eine Art Therapieplan für die Strafrechtsmessies der Koalition.

Ich hätte da als probates Therapeutikum gegen den grassierenden Strafrechtspopulismus einen Vorschlag, nämlich Thomas Fischers leicht verständliches Buch „Über das Strafen“ an die Mitglieder
der Koalitionsfraktionen als Pflichtlektüre über die Osterferien zu verteilen. Es kostet 22,99 Euro, als E-Buch etwas weniger. Vielleicht sollten wir hier sammeln, um die notwendige Grundausstattung für die Deckung der Kosten zusammenzukriegen.

05.03.2020

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