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Rede von Canan Bayram im Deutschen Bundestag zum Thema StGB – Schriftenbegriff, Handlungen im Ausland

Bundestag, Strafrecht

Erste Beratung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland.

Vielen Dank, Herr Präsident; jetzt ist ja wieder Stimmung hier in der Bude. Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Gesetzentwurf ist eine der sehr seltenen Beispiele für systematisches Arbeiten der Bundesregierung am Strafgesetzbuch. Auch wenn es dabei überwiegend um formale Änderungen geht: Zentrale Aufgabe des Bundesjustizministeriums ist es, die Einheit der Rechtsordnung, die Einheit des Strafgesetzbuches im Blick zu behalten und dabei die Grundsätze des Strafrechts mit der nötigen Festigkeit zu wahren. Dabei weder vor der „Bild“-Zeitung noch vor dem Koalitionspartner einzuknicken, gelingt hier allerdings nicht. Was wir derzeit zum § 176 Strafgesetzbuch erleben, ist jenseits jeder rationalen Kriminalpolitik, gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis und bringt das System des Strafgesetzbuches durcheinander – es rettet übrigens auch kein Kind, meine Damen und Herren.

Was an systematischer Arbeit beim Strafgesetzbuch zum Beispiel fehlt, ist die seit Jahren ausstehende Gesamtüberarbeitung seines Dreizehnten Abschnitts, der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dafür liegt ein Expertenbericht dem BMJV vor. Über punktuelle Änderungen hinaus wird aber nichts getan. Was ebenfalls seit Jahren fehlt, ist die Überarbeitung und Reform der Tötungsdelikte. Da traut sich die Koalition nicht heran.

2015 hatte eine Expertengruppe Empfehlungen vorgelegt, dann gab es, 2016, einen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, und dann ist die SPD vor der Union eingeknickt. Bei dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, werden richtigerweise überholte Begriffe wie „Schwachsinn“ und „Abartigkeit“ ersetzt. Auch bei den Tötungsdelikten gibt es Begriffe, die auf die sogenannte Tätertypenlehre der Nationalsozialisten zurückgehen und reformiert werden müssten. Selbst kleine Veränderungen, die Gegenstand des heute zu beratenden Gesetzentwurfs hätten sein können, bleiben unbearbeitet. Was ist etwa mit dem Begriff der schädlichen Neigung im Jugendgerichtsgesetz? Der ursprünglich 1941 eingeführte Begriff ist stigmatisierend und unterstellt eine Defektpersönlichkeit; er ist zudem viel zu unbestimmt. Die Unionsländer hatten dazu im Bundesrat schon vor einigen Jahren einen guten Vorschlag gemacht, den könnte man einfach übernehmen.
Und was ist mit dem Begriff der rassischen Gruppe im Volksverhetzungsparagrafen, § 130 StGB: Kann die Koalition oder das Bundesjustizministerium einmal erklären, wer mit diesem Begriff gemeint sein soll? Mit dem vorliegenden Gesetz wird zwar § 130 Strafgesetzbuch geändert, was im Inland wahrnehmbare Handlungen, die im Ausland stattfinden, angeht – gut so! –, aber eine wirkliche Reform bekommt die Bundesregierung auch bei dieser Gelegenheit nicht zustande.

Insgesamt handelt es sich gleichwohl um einen ordentlichen Gesetzentwurf, den wir wohlwollend beraten werden