Der Kulturstandort in der Oranienstraße 25 in Kreuzberg ist bedroht. Die neue Eigentümerin des Hauses, ein luxemburgischer Fonds, lässt die Mieten explodieren und vertreibt die Traditionsbuchhandlung Kisch & Co. Dagegen wehren wir uns.
Am sonnigen Mittwochabend, den 29. Juli, versammelten sich zahlreiche Menschen vor dem Kulturhaus O25 in Kreuzberg um gegen den Ausverkauf der Innenstädte und Kieze zu demonstrieren. Es war die bereits dritte Solidaritäts-Kundgebung in der Reihe „Volle Breitseite für den Kulturstandort Oranienstraße 25“.
Konkret geht es um die im Haus ansässige Traditionsbuchhandlung Kisch & Co. Sie ist seit Ende Mai ohne Mietvertrag. Seit Anfang des Jahres hat die kige Kiezgewerbe, eine gemeinwohlorientierte Beratungsgesellschaft für von Verdrängung bedrohte Gewerbemieter*innen, mit dem Anwalt der neuen Hauseigentümer*innen verhandelt. Nachdem dieser zunächst eine Verlängerung des Mietverhältnisses bis zum 31. Dezember 2020 bei gleichzeitiger Senkung der Miete angeboten hatte, stellte sich dann heraus, dass dieses Angebot mit unzumutbaren Bedingungen verknüpft war. So sollten die Buchhändler*innen nicht nur jeglichen negativen Kommentar über die Eigentümerin unterlassen, sondern darüber hinaus auch noch positive Schreiben an mich und die anderen unterstützenden Politiker*innen und die Medien verfassen. Die Mietsenkung sollte auch nur gelten, wenn die Mieter*innen sich verpflichten, zum Jahresende auszuziehen. Darauf konnte und wollte die Buchhandlung sich nicht einlassen. Nun hat eine Frankfurter Großkanzlei den Fall übernommen und als erstes eine Räumungsaufforderung geschickt. Die Buchhandlung muss sich auf die Räumungsklage gefasst machen.
Gemeinsam mit meinem Vorgänger Hans-Christian Ströbele habe ich bereits im April 2020 an Sigrid Rausing geschrieben, vorgeblich eine der Anlegerinnen des Immobilienfonds aus Luxemburg und Enkelin des Tetra-Pak-Gründers Rausing aus Schweden. Doch obwohl die Verlegerin und Gründerin einer Wohltätigkeitsstiftung sogar auf die Briefe antwortete, konnte oder wollte sie dem kleinen Buchladen in Kreuzberg offenbar nicht helfen.
Auch die anderen im Haus ansässigen Gewerbe sind bedroht: Die Verwalter*innen des Fonds der Eigentümer*innen, die Victoria Properties S.A.R.L. in Luxemburg, lassen die Mieten explodieren. Um den überteuerten Gesamtkaufpreis von 35,5 Millionen Euro zu refinanzieren, verlangen sie bei Neuvermietung Mieten in Höhe von 38 Euro den Quadratmeter. Welches Geschäft kann solche Wahnsinnsmieten wieder einbringen? Die Neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) und das Museum der Dinge im selben Haus werden also wohl die nächsten Opfer dieser maßlosen Profitgier sein.
Auf der Kundgebung wurde wieder einmal klar, welche Bedeutung Kisch & Co für den Kiez und die Nachbarschaft aber auch darüber hinaus hat. In den letzten Jahren unterstützte Inhaber Thorsten solidarisch den Kampf der anderen von Verdrängung bedrohten Gewerbetreibenden in der Straße. Nun trifft es ihn selbst, doch der Kiez steht hinter dem Buchladen, in dem es um Bücher geht und nicht um Geld. Der Buchladen soll weichen, weil Investor*innen sich nicht darum kümmern, was ihre Kapitalanlagen vor Ort anrichten. Es steht nicht weniger als die Zerstörung von Existenzen und dem Verlust eins Anziehungspunktes für die Nachbarschaft und der Kiezkultur auf dem Spiel.
Aber das lassen sich die Kreuzberger*innen nicht gefallen – sie wollen ihren Buchladen behalten. Das findet auch Meret Becker, die mit ihrer wunderbaren Musik den Protest unterstützte. Sie ist – wie viele Nachbar*innen – seit Jahren Stammkundin bei Kisch & Co. Auch die 80er Jahre Rockband „Mutter“ sowie die Perkussionisten „N.U.Unruh“ gaben ihr Bestes und mit diesem kreativen und nicht zu überhörenden Protest lag in der Kreuzberger Abendluft ordentlich kämpferische Stimmung für den Erhalt des Kulturstandortes.
Ich begleite den Protest der Gewerbetreibenden in Kreuzberg seit vielen Jahren. Ich habe an Vermieter*innen appelliert und mich als Vermittlerin und Mediatorin zur Verfügung gestellt. Und ich war beim Protest auf der Straße dabei, wann immer ich konnte. In meiner Rede auf der Kundgebung habe ich abermals deutlich gemacht: Wir könnten diese Ungerechtigkeit sofort beseitigen! Der Bundestag könnte umgehend ein Gesetz zum Gewerbemietrecht beschließen, das kleine oder auf sozialem und kulturellem Gebiet tätige Gewerbemieter*innen schützt und endlich Bedingungen schafft, unter denen die gewachsenen Kieze erhalten bleiben und die Nachbarschaft mitentscheiden kann, wie ihr Kiez aussieht. Ein solches Gesetz habe ich gemeinsam mit Expert*innen und Initiativen erarbeitet.
Nicht das Kapital sollte entscheiden, wie wir leben, sondern die Kunst, die Kultur und vor allem die Menschen selbst – dafür setze ich mich weiter ein.